Bruder Klaus

19.3.2006

Bruder Klaus Kirche - Stuttgart Gablenberg

Jan F. Welker „Werkwerdung“ Arbeiten zur Passion

Eröffnungsrede zur Ausstellung „Werkwerdung“ - Arbeiten zur Passion" von Jan. F. Welker am 19.03.2006 in der Kirche Hl. Bruder Klaus, Stuttgart, Gablenberg.

"Meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Werkwerdung - Arbeiten zur Passion" nennt der in Waiblingen-Neustadt lebende Künstler Jan F. Welker seine hier in der Kirche aufgebaute Ausstellung, die aus Fotos und Ausdrucken in DIN A 0 Format und Collagen besteht. „Werkwerdung" deshalb, weil der Betrachter nachverfolgen kann, wie die Serie von ca. 180 Fotos entstanden ist. Der Künstler hat sich vor seinem Bild der „Kreuzigung", einem in blutroter Farbe gemalten Bild mit den Andeutungen einer gekreuzigten Figur in einem roten Overall in verschiedenen Bewegungsmomenten hingestellt und sich mit einem Selbstauslöser abgelichtet.

Dabei verhielt er sich nicht bewegungslos vor der Kamera, sondern bewegte sich. Mit diesem gestalterischen Mittel erreichte er eine Dynamik, die eine Bewegung innerhalb der Serie der aufeinanderfolgenden Bilder verursacht, eigentlich könnten es einzelne Filmstills sein, die aneinandergefügt einen Film mit Bewegungsmomenten ergeben. Er hat dies auch in einer Art Film gemacht, indem er die Fotos in Überblendtechnik in Verbindung brachte. Jan Welker benützt für seine Ausdrucksweise sowohl die klassischen bildkünstlerischen Mittel der Malerei und Fotografie als auch Elemente des Theaters und des Films. Des Theaters deshalb, weil er sich selbst in Szene setzt und als Schauspieler in seinem eigenen Werk auftritt. Er wird so ein Teil des Werkes selbst. Man nennt diese Kunstform Performance, also eine Art theatralische Darstellung, die von Raum, Zeit und der agierenden Person abhängig ist. Um diese Aktionen festzuhalten, verwenden die Künstler die Videotechnik oder die rein filmische Dokumentation, um die Vorführung mit beiden anderen künstlerischen Mittel erlebbar zu machen. Wenn Welker sich nun selbst in verschiedenen Bewegungsstadien fotografiert, ist das eine Mischform zwischen der inzwischen klassisch gewordenen Performance und dem ebenfalls klassischen Darstellungsmittel der Fotografie oder der Malerei. Insofern ist die Arbeit dieses Künstlers eine Möglichkeit, mit zeitgenössischen Mitteln der Technik oder der interdisziplinären Kunst Inhalte so darzustellen, dass sie neue Seherlebnisse und Empfindungszugänge erlauben. In einer Zeit der Bilderflut ist dies ein adäquates Mittel, sich mit verzögerter Geschwindigkeit gegen diese auf uns tagtäglich einstürmende visuelle Informationsfülle entgegenzustemmen.

In diesem Sinne und unter diesen Voraussetzungen ist die Bezeichnung „Werkwerdung" durchaus gerechtfertigt, zeigt sie uns doch auf, wie ein Thema entsteht und mit welchen künstlerischen Mitteln es visualisiert werden kann. Der zweite Teil seines Ausstellungstitels lautet „Arbeiten zur Passion", ein Thema aus dem christlichen Kontext, das sich mit dem Leidensweg des Jesus Christus beschäftigt aber auch allgemein als ein Thema der leidenden Menschheit gelten kann. Der christliche Bezug ist zwar mit der „Kreuzigung", der „Kreuzabnahme" und der „Grablegung" gegeben, doch man kann die Darstellung auch allgemeiner verstehen. Er selbst sagt zu seinen „Arbeiten zur Passion", dass er sie als .Annäherung an das Kreuzigungsthema sieht", das aber als Thema letztlich kaum zu erschließen sei. Und weiter: „ Mein Vater war Pfarrer, ich begann ja spät mit der Malerei, in den Anfängen habe ich an den Karfreitagen immer ein Bild zur Kreuzigung gemalt. Aus dieser emotionalen Kontinuität heraus sind die Fotos 2003 entstanden."

Als Pfarrerssohn in eine christliche Erziehung eingebunden, ist es verständlich, wenn ihn diese Thematik entsprechend beschäftigte, ist sie doch das Kernthema des christlichen Verständnisses und ganz besonders in der protestantischen Auslegung. Die Passion Christi nimmt in der bildlichen Darstellung des letzten Lebensabschnittes von Jesus einen zentralen Punkt ein. Die Verurteilung Jesu durch Pilatus zum Tod durch die brutalste und erniedrigendste der Kreuzigung, ermöglicht erst die Märtyrerrolle des Gottessohnes für die Menschheit. Erst der Kreuzestod und die damit verbundenen Qualen legitimieren die Standhaftigkeit des Glaubens, die Überbrückbarkeit des Todes durch die Auferstehung, die erst durch den Glauben zustande kommt. Ohne Kreuzestod Jesu gäbe es die Auferstehung, also die Überwindung des Todes nicht. Diese zentrale Glaubensvorstellung wird durch die Passion zum Ausdruck gebracht. Im christlichen Kult ist es vor allem die bildliche Darstellung der einzelnen Passionsabschnitte, die zur Hinführung der Kreuzigung und der Auferstehung als emotional beladene Bildsequenz herangezogen wird, um die Gläubigen in der Kraft ihres Glaubens zu bestärken. Dies kann als dramatische Bildabfolge in Form von gemalten Leinwandbildern oder als Wandmalerei in den Kirchen erfolgen oder als theatralische Vorführung, als Schauspiel auf der Straße oder auf der Bühne wie z.B. in Oberammergau oder bei den Karfreitagsprozessionen.

Das alles verfolgt ein Ziel: Den Zusammenhalt der Gläubigen zu stärken, sich am Beispiel des Jesu zu orientieren, möglichst lebensnah sein Leiden mitzuerleben und an ihn und sein Opfer für die Menschen zu erinnern. In jeder katholischen Kirche gibt es einen Kreuzweg, die Passion, die während der Fastenzeit eine entscheidende Rolle im täglichen Kirchenalltag spielt. Die Gläubigen versammeln sich vor jeder einzelnen Station und beten davor. Jan F. Welker, der aus einer Pfarrfamilie kommt, stellt nun die Passion auf seine Art und Weise dar. Der Protestantismus hat mit der bildlichen Darstellung christlicher Glaubensinhalte seine Schwierigkeiten, da die Abwendung vom Katholizismus auch auf die Bilderfreudigkeit bezogen wurde. Heute hat sich das erheblich gewandelt, denn in vielen evangelischen Kirchen wird zeitgenössische Kunst gezeigt und in die Predigten miteinbezogen. Wie gerade erwähnt.

Welker hat seine eigene Interpretation des Passionsgeschehens in bildende Kunst umgesetzt. Diese orientiert sich weniger an den Stationen des überlieferten Passionsgeschehens, sondern eher mit der Bedeutung des Opfertodes Christi und dem Symbol dieses Opfers, eben dem Kreuz selbst. Dass ein Folterinstrument wie das Kreuz überhaupt zum Symbol einer Religion werden konnte, ist schon ungewöhnlich genug. Das wäre so, als würde man sich heute einen elektrischen Stuhl in Form eines Anhängers um den Hals hängen. Ich sage dies so drastisch, damit uns bewusst wird, welch ungeheuerliches Symbolbild das Kreuz eigentlich ist. Wenn sich Welker nun vor seinem Kreuzigungsbild in einzelnen Bewegungsposen selbst ablichtet, kann dies mehrere Gründe, mehrere Bedeutungsebenen haben: Auf dem Bild selbst, das als Hintergrund dient, sieht man eine rote Blutfläche, in die die ausgebreiteten Hände, der herabgesunkene Kopf und die gefesselten Füße in grauer Farbe dargestellt werden. Welker selbst geht mit seinem gleichfarbigen Overall quasi in das Bild hinein, wird selbst als Akteur zum Gekreuzigten, der sich vor dem Kreuz bewegt, sich wie in einem schmerzhaften Tanz von ihm zu lösen versucht.

Wenn ich es psychologisch deuten möchte, könnte ich annehmen, dass Jan F. Welker sein Kreuz mit dem Kreuz hat. Als Pfarrerssohn scheint dies durchaus für ihn zuzutreffen. Welchen Schuldenkomplex muss wohl ein heranwachsendes Kind bekommen, wenn es dauernd hören muss, dass Jesus einen schrecklichen Tod habe erleiden müssen, dass es ihn jetzt gäbe und es die Gnade habe, den Tod zu überwinden und ins Reich Gottes aufgenommen zu werden? Dass diese Vorstellung ein Hin -und Hergerissensein zum Symbol des Kreuzes und zur christlichen Religion überhaupt hervorrufen kann, scheint mir nicht allzu abwegig zu sein.

Andererseits ist uns allen klar, dass die Passion ihre Entsprechung nicht nur am Einzelschicksal Jesu, sondern im Leiden der Menschheit generell hat. Und da scheint mir die Arbeit Welkers sehr nahe zu sein. Folter, Opfertode, Verfolgung, Vergewaltigung und unsägliches Leid gibt es überall. Während wir hier heute beieinander sind und über dieses Leiden nachdenken, sterben zum selben Zeitpunkt Menschen den Hungertod zu Hunderten, zerfetzen Bomben die Leiber der Getöteten und sterben Menschen ohne Sinn auf unseren dicht befahrenen Straßen. An all die mag Welker denken, wenn er seine Passion durchleidet und sie uns in dieser bildlichen Form erlebbar macht."

Dr. Helmut Herbst

Hier lesen (PDF)

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